Wassertropfen

Die 9 Hindernisse – Antarāyaḥ (YS I.30)

Auf dem Yogaweg begegnen wir Hindernissen, die den Fortschritt stören und uns vom Ziel der Sammlung (samādhi) abhalten. Patanjali nennt diese Hindernisse antarāyaḥ – wörtlich: „Störungen von innen“. Es sind keine bloßen Fehler oder Schwächen, sondern energetische und geistige Zustände, die das Gleichgewicht von Körper, Geist und Atem durcheinanderbringen.

Die neun Hindernisse (YS I.30)

  1. Vyādhi – Krankheit
  2. Styāna – Trägheit, Antriebslosigkeit
  3. Saṃśaya – Zweifel
  4. Pramāda – Unachtsamkeit, Überheblichkeit
  5. Ālasya – Faulheit
  6. Avirati – Ablenkung, Unbeherrschtheit der Sinne
  7. Bhrānti-darśana – falsche Vorstellung, verzerrte Sicht
  8. Alabdha-bhūmikatva – Unfähigkeit, einen nächsten Schritt zu erreichen (Stagnation)
  9. Anavasthitatva – Instabilität, Rückschritt

Begleiterscheinungen der Hindernisse (YS I.31)

Patanjali beschreibt auch ihre Symptome:

  • Duḥkha – Schmerz, Leid
  • Daurmanasya – Mutlosigkeit, Depression
  • Aṅgamejayatva – Unruhe des Körpers
  • Śvāsa-praśvāsa – unregelmäßiger Atem

Damit wird deutlich: Die Hindernisse wirken nicht nur auf der Ebene des Geistes, sondern zeigen sich auch körperlich und im Atem.

Gegenkräfte – Die entgegengesetzten Qualitäten

Jedes Hindernis hat ein Gegenprinzip, das den Weg öffnet.

Antarāyaḥ – Hindernisse und ihre Gegenkräfte

Im Yoga-Sutra (YS I.30) beschreibt Patanjali neun Hindernisse (antarāyaḥ), die auf dem Weg der Praxis auftreten können. Ihnen gegenüber stehen heilsame Gegenkräfte (pratipakṣa), die uns wieder in Balance bringen.

Hindernis (antarāya)Gegenkraft (pratipakṣa)
Krankheit (vyādhi)Gesundheit, Balance (svasthya)
Trägheit (styāna)Energie, Lebendigkeit (utsāha)
Zweifel (saṃśaya)Überzeugung, Vertrauen (śraddhā)
Unachtsamkeit (pramāda)Achtsamkeit, Selbstreflexion (smṛti)
Faulheit (ālasya)Beständigkeit (abhyāsa), Disziplin (tapas)
Ablenkung (avirati)Konzentration (ekāgratā)
Falsche Vorstellung (bhrānti-darśana)Richtige Erkenntnis (pramāṇa)
Stagnation (alabdha-bhūmikatva)Fortschritt durch Geduld (kṣānti), schrittweises Üben
Rückschritt (anavasthitatva)Stabilität (sthiti), Verankerung in der Praxis

Zusammenhang mit den drei Gunas

Die Hindernisse spiegeln das Ungleichgewicht der drei Grundkräfte (gunas):

  • Tamas (Trägheit, Dunkelheit): zeigt sich in Krankheit, Faulheit, Stagnation.
  • Rajas (Ruhelosigkeit, Bewegung): zeigt sich in Ablenkung, Überheblichkeit, Zweifel.
  • Sattva (Klarheit, Harmonie): ist die Gegenkraft, die alle Hindernisse auflöst.

Yoga heißt, Tamas zu überwinden, Rajas zu zügeln und Sattva zu stärken.

Zusammenhang mit den fünf Kleshas (YS II.3)

Die Hindernisse haben ihre Wurzel in den tieferliegenden Ursachen (kleshas):

  • Avidyā (Nicht-Wissen): falsche Vorstellung, Rückschritt.
  • Asmitā (Ich-Verhaftung): Überheblichkeit, Unachtsamkeit.
  • Rāga (Anhaften): Ablenkung, Zweifel.
  • Dveṣa (Abneigung): Trägheit, Mutlosigkeit.
  • Abhiniveśa (Angst, Festhalten): Krankheit, Instabilität.
Praktische Dimension
Die neun Hindernisse sind nicht zu vermeiden – sie sind Teil jedes Übungsweges. Entscheidend ist, wie wir mit ihnen umgehen. Patanjali nennt in YS I.32 das Gegenmittel:
ekatattvābhyāsa – „die beständige Praxis eines einzigen Prinzips“.
Das bedeutet, den Geist immer wieder auf einen Punkt zurückzuführen, etwa auf den Atem, auf ein Mantra oder auf die innere Stille.

Fazit
Die antarāyaḥ sind Stationen, nicht Endpunkte. Sie zeigen uns, wo unsere Energie blockiert oder zerstreut ist.

Indem wir ihre Gegenkräfte kultivieren, entwickeln wir Klarheit (sattva), die uns zu Sammlung und innerer Freiheit führt.

So sind die Hindernisse letztlich keine Feinde, sondern Lehrer auf dem Weg.

Antarāyaḥ – Hindernisse im Yoga-Sutra und ihre Entsprechungen

Patanjali beschreibt im Yoga-Sutra (YS I.30) neun Hindernisse (antarāyaḥ). Diese lassen sich den drei Guṇas und den fünf Kleśas zuordnen. Als Gegenkräfte (pratipakṣa) dienen Qualitäten, die den Übenden wieder ins Gleichgewicht bringen.

Hindernis (antarāyaḥ)GunaKleśaGegenkraft (pratipakṣa)
Krankheit (vyādhi)TamasAsmitāGesundheit, Balance (svasthya)
Trägheit (styāna)TamasAvidyāEnergie, Lebendigkeit (utsāha)
Zweifel (saṃśaya)Rajas / TamasAvidyāÜberzeugung, Vertrauen (śraddhā)
Unachtsamkeit (pramāda)TamasAvidyāAchtsamkeit, Selbstreflexion (smṛti)
Faulheit (ālasya)TamasAvidyāBeständigkeit (abhyāsa), Disziplin (tapas)
Ablenkung (avirati)RajasRāgaKonzentration (ekāgratā)
Falsche Vorstellung (bhrānti-darśana)Rajas / TamasAvidyāRichtige Erkenntnis (pramāṇa)
Stagnation (alabdha-bhūmikatva)TamasDveṣaFortschritt durch Geduld (kṣānti), schrittweises Üben
Rückschritt (anavasthitatva)Rajas / TamasAbhiniveśaStabilität (sthiti), Verankerung in der Praxis

Meditation – Die Hindernisse erfahren

Dauer: ca. 25 Minuten

Einführung (ca. 2–3 Min.)

Finde einen bequemen, aufrechten Sitz. …
Schließe die Augen, wenn du magst. …
Spüre, wie dein Körper hier sitzt. …
Nimm den Atem wahr, so wie er kommt und geht. …

Heute wenden wir uns den Hindernissen des Yogaweges zu. …
Sie sind Teil jedes Übungsweges. …
Wir wollen sie nicht verdrängen, … sondern erkennen, …
und ihre Gegenkräfte erfahren.

1. Körperliche Ebene (ca. 5 Min.)

Thema: Krankheit, Müdigkeit, Faulheit – vyādhi, styāna, ālasya

Spüre deinen Körper. …
Vielleicht gibt es Schwere. …
Vielleicht Müdigkeit. …
Vielleicht Trägheit. …

Lass all das da sein. … Ohne Urteil. … Nur wahrnehmen. …

Und dann richte dich sanft innerlich auf. …
Spüre, wie der Atem dich trägt. …
Beim Einatmen … Lebendigkeit. …
Beim Ausatmen … Loslassen. …

Mit jedem Atemzug … darf sich Klarheit ausbreiten. …
Mit jedem Atemzug … Lebendigkeit.

(ruhige Pause 20–30 Sek.)

2. Geistige Ebene (ca. 7 Min.)

Thema: Zweifel, Unachtsamkeit, Ablenkung – saṃśaya, pramāda, avirati

Nun wende dich deinem Geist zu. …
Vielleicht tauchen Zweifel auf: …
‚Kann ich das?‘ … ‚Bin ich richtig hier?‘ …
Beobachte sie. … Lass sie ziehen. …

Vielleicht kommen Gedanken, … Bilder, … Erinnerungen. …
Sie wollen dich ablenken. …
Erkenne sie. … Und kehre sanft zurück … zum Atem. …

Immer wieder … zurückkehren. …
Zurück zum Atem. … zurück zur Stille. …

Spüre Vertrauen. …
Spüre Achtsamkeit. …
Spüre, wie Konzentration wächst. …
Wenn du immer wieder … zurückkehrst.

(ruhige Pause 30 Sek.)

3. Ebene der Erkenntnis und Entwicklung (ca. 7 Min.)

Thema: falsche Sicht, Stagnation, Rückschritt – bhrānti-darśana, alabdha-bhūmikatva, anavasthitatva

Manchmal sehen wir Dinge verzerrt. …
Manchmal gehen wir in die Irre. …
Manchmal stockt die Entwicklung. …
Oder wir fallen zurück. …

Das gehört zum Weg. …
So wie Wellen im Meer … zum Ozean gehören. …

Erkenne in dir: … Auch Stagnation … ist Teil des Wachstums. …
Auch Rückschritt … ist nur eine Phase. …
Alles fließt. …

Spüre die Gegenkraft: … Geduld. …
Spüre Weisheit. …
Spüre Stabilität. …
Vertraue, dass dein Weg getragen ist.

(ruhige Pause 30 Sek.)

4. Ein einziges Prinzip – Sammlung (ca. 3 Min.)

Thema: ekatattvābhyāsa – die beständige Praxis eines einzigen Prinzips

Nun lasse alles los. …
Alle Bilder. … Alle Gedanken. … Alle Vorstellungen. …

Bleibe nur bei einem Punkt. …

Vielleicht bei deinem Atem. …
Vielleicht bei einem Klang. … OM …
Vielleicht in der Mitte deines Herzens. …

Immer wieder … zurück. …
Ein Atem. …
Ein Klang. …
Ein Prinzip. …

(ruhige Pause 1 Min.)

5. Abschluss (ca. 2–3 Min.)

Spüre jetzt deinen ganzen Körper. …
Spüre, wie du hier sitzt. …
Wie der Atem dich trägt. …

Nimm wahr, wie sich dein Geist anfühlt. …
Vielleicht ruhiger. … Klarer. … Gesammelter. …

Die Hindernisse sind keine Feinde. …
Sie sind Lehrer. …
Sie zeigen dir, wo du aus der Mitte fällst …
und erinnern dich, zurückzukehren. …

Nimm dieses Vertrauen mit. …
In deinen Tag. …
In dein Leben. …

Immer wieder zurück …
zu einem einzigen Prinzip.