Die Fünf Vayus: Energieflüsse und Atembewusstsein im Yoga

 „Basis-Mittelstufe“

Shavasana
Ujjāyī prānāyāma mit verbundenem Atem (liegend)

Prana ist sowohl makrokosmisch als auch mikrokosmisch und ist die Essenz allen Lebens. Maha Prana, der große Prana, ist die kosmische, universelle, alles umfassende Energie, dessen Gehalt wir mit dem Atem aufnehmen.

Prana, das Wort Pra, steht für Bewegung. Na bedeutet fortdauernd, ständig. Ayama bedeutet Ausdehnung und Erweiterung.

Pranayama führt durch eine Harmonisierung zu einem geklärten Energiekörper, den wir Pranamaya Kosha nennen. Lebensenergie ist in fünf Erscheinungsformen wandelbar und kann nicht erzeugt werden. Sie ist immer vorhanden und wird in ihren Erscheinungsformen wahrgenommen.

Ähnlich wie ein Jongleur fünf Bälle im Spiel hält, haben wir mit dem Pranayama ein Instrument, die Wandelformen der Lebensenergie und des Raumes aufeinander abzustimmen. Nichts Geringeres als die Einheit allen Seins kann erfahren werden. Alle Pranayama-Übungen zeigen den Weg auf, die Wandelformen der Energie und des Raumes, die Vayus, auf den Punkt zu bringen.

Beim Trampolinspringen gilt es, die vorhandene Entropie – je höher die Spannung, desto größer die Unordnung – so abzustimmen, dass du nach einem schwierigen Sprung wieder auf der gleichen Stelle ankommst, sodass keine Unruhe entsteht. Also sollten wir der Unordnung im Spannungszustand begegnen und geschickt eine Abstimmung der Vayus herstellen, vom Groben zum Feinen. Bewusstsein entfaltet sich, wenn wir uns der Entropie entgegenstellen.

In der Folge verringern wir den Spannungszustand, und der Anteil an Satva, das Lichte, wird größer.

Praxisanleitung

Shavasana

  1. Lage: Liege auf dem Rücken.
  2. Beobachte deine Atmung. Die Bauchdecke hebt und senkt sich, die Nase nimmt den Atem auf und ab.
  3. Energie wird aufgenommen und strömt vor (Richtung Nabel und Kopf – Prana Vayu).
  4. Energie wird abgegeben und strömt weg vom Kopf und vom Nabel in Richtung Kreuzbein (Apana Vayu).
  5. Durch die Interaktion dieser beiden Vayus entsteht Udana Vayu, und Energie fließt in der Körperachse mit Druck- und Zugkraft.
  6. Sobald mehr Atem den Brustraum erreicht, wird Vyana Vayu wahrgenommen. Die Ausdehnung und Reduktion ist dann nicht mehr auf die Brust beschränkt, sondern der gesamte Körper pulsiert.
  7. Wenn sich diese Kräfte durch Spannung und Gegenspannung aufheben, wird Samana Vayu spürbar.
  8. Die Essenz liegt in Vyana Vayu, ähnlich wie die meisten Pflanzen sich zum Licht und Raum ausbreiten und entgegengesetzt nach innen und zur Erde streben. Indem wir zwischen beiden Polen ruhen, erfahren wir Samana Vayu.

Ujjāyī prānāyāma (liegend)

Ujjāyī= extrem, jayī = erobern, unterwerfen

Tiefes Ein- und Ausatmen mit verbundenem Atem

Beginne in der Pranayama-Ausgangslage und lege dich ruhig hin. Atme einige Male normal und lasse den letzten Atemzug vollständig ausströmen.

Verbindung der Atembewegungen

Der verbundene Atem ist eine Technik, bei der Ein- und Ausatmung ohne Pause harmonisch ineinander übergehen. Ziel ist es, einen gleichmäßigen Atemstrom zu erleben und die fünf Vayus in Einklang zu bringen.

Einatmung:

  • Atme langsam, tief und gleichmäßig ein. Spüre den Atem an deiner Nasenscheidewand.
  • Beginne die Einatmung, indem du die Haut und Muskeln im Bereich des Schambeins und Unterleibs leicht nach unten drückst. Gleichzeitig ziehst du den Unterleibsbereich sanft in Richtung Zwerchfell hoch.
  • Lass den Atem deinen Brustkorb weiten und bis in die Region der Schlüsselbeine fließen. Stelle dir vor, dein Körper dehnt sich wie ein ausziehbarer Teleskopstab aus.

Übergang:

  • Anstatt eine Pause einzulegen, lasse den Atem nahtlos in die Ausatmung übergehen. Spüre den gleichmäßigen Strom, der harmonisch von Ein- zu Ausatmung fließt.

Ausatmung:

  • Atme langsam und tief aus. Entspanne deine Kehle und kontrolliere das Ausatmen ruhig und gleichmäßig.
  • Vermeide hastiges Ausatmen und stelle dir vor, dass sich deine innere Achse sanft auseinanderzieht. Dabei entsteht ein subtiler Unterdruck – das ist Udana Vayu.

Wiederhole dies mindestens sechs Mal. Falls nötig, nimm zwischendurch einige normale Atemzüge.

Verfeinerung der Technik

 

  • Halte die Nasenflügel passiv, ohne dass sie sich wölben.
  • Achte auf eine stetige und gleichmäßige Atmung.
  • Spüre die aktive Beteiligung deines gesamten Körpers – vom Schambein bis zu den Schlüsselbeinen.

Erweiterung mit exponentiellem Atemfluss

  • Lasse den Atem sanft beginnen, steigere die Intensität allmählich und lasse ihn ebenso sanft enden.
  • Diese Methode fördert eine tiefere Verbindung zwischen Körper und Geist.

Sutra II.51 aus Patanjali

„Der vierte Zustand (verbundene Atem) des Pranayama entsteht, wenn sowohl äußere als auch innere Atembewegungen und deren Objekte überschritten werden.“

 

Verbindung von Konsolidierung und Weite

  • Einatmend: Erlebe die Konsolidierung deines Körpers. Je weiter der Außenraum, desto größer der Innenhalt (Mantra „Sch“).
  • Ausatmend: Spüre, wie du dich auf einen Punkt zubewegst und gleichzeitig den Geist in die Weite öffnest (Mantra „Aa“).
  • Der Prozess balanciert zwischen der inneren Festigung und der äußeren Öffnung.

Die fünf Vayus, die Energieflüsse des Körpers, spielen im Yoga eine zentrale Rolle. Sie helfen uns, die feinstofflichen Bewegungen im Inneren zu verstehen und bewusst zu lenken. Durch die Verbindung mit den Vayus kann der Atem zu einem kraftvollen Werkzeug werden, das tiefgreifende Veränderungen bewirkt. Die kontinuierliche, bewusste Atmung bringt dich in den gegenwärtigen Moment, schärft die Wahrnehmung für deinen Körper und Geist und fördert ein tiefes Bewusstsein für deine inneren Prozesse. Gleichzeitig ermöglicht die Arbeit mit den Vayus, energetische Ungleichgewichte auszugleichen und die Energie frei fließen zu lassen, was ein Gefühl von Harmonie und Leichtigkeit im Körper entstehen lässt.

Der verbundene Atem wirkt beruhigend auf das Nervensystem und löst Stress sowie Spannungen auf. Dadurch kann eine tiefe Entspannung erfahren werden, die nicht nur den Körper, sondern auch den Geist zur Ruhe bringt. Der Atem wird zur Brücke zwischen Innen und Außen, schafft eine Verbindung zu deinem Inneren und zur äußeren Welt, sodass eine ganzheitliche Erfahrung von Einheit und Einklang entstehen kann.

Die bewusste Arbeit mit den Vayus erfordert Geduld und Hingabe. Nimm dir Zeit, jede Bewegung des Atems aufmerksam zu spüren. Lausche seinem Rhythmus und entdecke, wie er dich mit deiner inneren Welt verbindet. In dieser Praxis liegt eine Einladung, mit Achtsamkeit und Sanftheit die Kraft des Atems zu erleben und eine tiefe Verbindung zu dir selbst zu schaffen.